§ 219a StGB auf dem Prüfstand

Laut Paragraf 219a des Strafgesetzbuches (StGB) ist die sogenannte „Werbung für den Abbruch einer Schwangerschaft“ strafbar und wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet. Ärztinnen und Ärzten ist es damit verboten, in der Öffentlichkeit über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren.  Damit soll verhindert werden, dass ein Schwangerschaftsabbruch als kommerzialisierbare Dienstleistung dargestellt und von der Allgemeinheit als normales Verhalten eingeschätzt werden. (Bericht, BT-Drucks. 7/1981 (neu), 17; Eschelbach in: BeckOK StGB, 35. Ed. 1.8.2017, § 219a StGB Rn. 1).

Das Gesetz  steht jedoch zunehmend in der Kritik. Denn es kriminalisiert Ärztinnen und Ärzte auch dann, wenn sie bloß über ihre medizinische Arbeit aufklären, wie es ihr Berufsethos gebietet. Paragraf 219a widerspricht damit nicht nur dem ärztlichen Auftrag, sondern auch dem Recht jeder Frau auf Information und auf freie Arztwahl. Er ist daher auch ein Eingriff in die körperliche Selbstbestimmung von Menschen, die sich häufig mit einer ungewollten Schwangerschaft in einer schwerwiegenden Notsituation befinden.

Vor allem Abtreibungsgegner nutzen das Gesetz, um Ärztinnen und Ärzte durch Klagen unter Druck zu setzen. So wurde die Gießener Ärztin Kristina Hänel 2017 zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie auf ihrer Website darüber informiert hatte, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Der Fall löste eine große Welle der Solidarität aus und führte zu einer intensiven Debatte über den Paragrafen 219a. Es mehrten sich dadurch auch Stimmen, die eine ersatzlose Streichung des Paragrafen einforderten – darunter zahlreiche Rechtsexpertinnen und Rechtsexperten. Es wird sich demnächst zeigen müssen, ob er vor dem Verfassungsgericht Bestand haben wird. 

Stellungnahmen

Zahlreiche Expert*Innen und Organisationen sprechen sich für eine ersatzlose Streichung des Paragrafen 219a aus:

  • „Durch die Anzeige von fundamentalistischen Abtreibungsgegnern kam ich vor Gericht und wurde verurteilt, weil ich sachliche und seriöse Informationen zum Schwangerschaftsabbruch auf meiner Website bereitstelle. Ich kämpfe dafür, dass der unsägliche §219a endlich Geschichte wird. Informationsrecht ist ein Menschenrecht!“

    Kristina Hänel (Ärztin)

  • „Die Folgen des 219a sind fatal: Immer weniger Ärztinnen und Ärzte führen Schwangerschaftsabbrüche durch, immer schlechter finden ungewollt Schwangere eine Möglichkeit, einen Abbruch durchführen zu lassen. Die Grundversorgung für ungewollt Schwangere ist mittlerweile akut gefährdet. Wer diese Zusammenhänge immer noch ignoriert, handelt dann auch verantwortungslos.“

    Kersten Artus (Journalistin)

  • Der § 219a gefährdet die Gesundheit von Frauen, da er einen niederschwelligen Zugang zu Informationen über Schwangerschaftsabbruch verbietet. Die ‘Reform’ des §219a hat mehr Unklarheit als Klarheit gebracht. Der § 219 a tradiert Gesetze aus der NS-Zeit und muss gestrichen werden.“

    Eva Waldschütz (Ärztin)

  • „Der Paragraf 219a StGB ist abzuschaffen. Denn er folgt religiösen Glaubensvorstellungen und der nationalsozialistischen Weltanschauung, die mit einem demokratischen, weltanschaulich neutralen Rechtsstaat in der Ausrichtung auf die Europäische Menschenrechtskonvention unverträglich sind.“

    Institut für Weltanschauungsrecht (ifw)

  • „Aus ideologischen Gründen und letztlich auch parteipolitischen Erwägungen wird an einem verzichtbaren und gesellschaftlich überholten Paragrafen festgehalten..“

    Prof. Dr. Ulrike Busch (Sexualwissenschaftlerin)

  • “Selbstverständlich darf das Anbieten von Informationen über den Schwangerschaftsabbruch niemals als strafbare Handlung begriffen werden. Im Gegenteil: Das Verschweigen solcher Informationen müsste als Verstoß gegen die ärztliche Informationspflicht (§ 630c, Abs. 1 BGB) gewertet werden!”

    Dr. Dr. hc. Michael Schmidt-Salomon (Giordano-Bruno-Stiftung)

  • “Informationen zu Abtreibungen sind keine Werbung, sondern ein grundlegendes Recht.”

    Terre des Femmes

  • „Die Grundannahme, dass schwangere Frauen sich durch eine ansprechende Werbung zu einem Schwangerschaftsabbruch überreden ließen, spricht Frauen das Treffen einer eigenverantwortlichen Entscheidung in einem Schwangerschaftskonflikt ab und ist als bevormundend einzustufen.“

    Deutscher Frauenrat (DF)

  • “Die Neufassung von § 219a StGB ist juristisch so hanebüchen, dass es sicher nicht lange dauern wird, bis das Gesetz auch in seiner Neufassung vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird.”

    Daniela Wakonigg (HPD.de)

  • „Die Regelung des § 219a StGB führt zu einer erheblichen Einschränkung des Rechtes auf freie Arztwahl und die Informationsfreiheit.“

    Deutscher Anwaltverein (DAV)

  • „Frauen brauchen umfassende Informationsfreiheit über die Möglichkeit und Methoden von Schwangerschaftsabbrüchen. Dieses Recht darf ihnen in einer emanzipierten Gesellschaft nicht vorenthalten werden.“

    Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)

  • „Wer (…) rechtmäßig auf etwas deuten darf, auf dem ‚X‘ steht, darf selbstverständlich auch dazu sagen, dass dort ‚X‘ steht. Dieses Aussprechen ‚X‘ als kriminell zu markieren, während das Hinweisen auf ‚X‘ als rechtmäßig, ja als förderlich für einen Gesetzeszweck behandelt wird, ist verfassungsrechtlich nicht legitimierbar.“

    Prof. Dr. Reinhard Merkel (Jurist)

  • „Die Arbeiterwohlfahrt bekräftigt nochmal ihre Forderung nach einer kompletten Streichung des §219a StGB, um die Informationsfreiheit von Frauen sowie die Berufsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten vollumfänglich zu gewährleisten.“

    Arbeiterwohlfahrt (AWO)

  • „Im Rahmen ihrer Verpflichtung, das Recht der Frauen auf sexuelle und reproduktive Gesundheit zu gewährleisten, müssen Staaten sicherstellen, dass Frauen auf verfügbare, annehmbare, qualitativ hochwertige Gesundheitsdienstleistungen und Informationen zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit zugreifen können, insbesondere auch auf Informationen zum sicheren und legalen Schwangerschaftsabbruch.“

    Center for Reproductive Rights (CRR)

  • „Es war und ist weder verfassungsrechtlich noch rechtsdogmatisch rekonstruierbar, warum Ärztinnen und Ärzte nicht öffentlich darüber informieren dürfen, wenn sie im Rahmen des Gesetzes Schwangerschaftsabbrüche durchführen.“

    Deutscher Juristinnenbund (DJB)