§ 218 StGB auf dem Prüfstand

Nicht nur § 219a StGB ist verfassungswidrig, sondern die gesamte deutsche Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch. Dies ist das Ergebnis einer Stellungnahme, die das Hans-Albert-Institut und die Giordano-Bruno-Stiftung zur Verfassungsbeschwerde der Ärztin Kristina Hänel in Karlsruhe eingereicht haben.

Eigentlich soll es in dem Verfahren zur Verfassungsbeschwerde von Kristina Hänel nur um § 219a StGB gehen, der es Ärztinnen und Ärzten viele Jahrzehnte lang verbot, Informationen zum Schwangerschaftsabbruch öffentlich bereitzustellen. Doch die von HAI-Direktoriumsmitglied und gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon formulierte Stellungnahme zeigt auf, dass § 219a StGB nur im Kontext der Gesetzgebung betrachtet werden kann, in die er eingebettet ist. Denn nur vor dem Hintergrund des generellen „Unwerturteils“ über den Schwangerschaftsabbruch konnte es überhaupt als rechtmäßig erscheinen, die Meinungs- und Berufsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten einzuschränken.

Aus diesem Grund setzt sich die Stellungnahme „Schwangerschaftsabbruch im liberalen Rechtsstaat“ ausführlich mit den beiden maßgeblichen Urteilen auseinander, mit denen das Bundesverfassungsgericht die vom Deutschen Bundestag beschlossene „Fristenlösung“ 1975 und 1993 gekippt hatte. Dabei gelangt Schmidt-Salomon unter Berücksichtigung der relevanten wissenschaftlichen, ethischen, rechtsphilosophischen und juristischen Argumente zu dem Ergebnis, dass die Urteile des BVerfG weder rational noch evidenzbasiert noch weltanschaulich neutral begründet waren. Mit logisch konsistenten Gründen, so führt er unter Verweis auf empirische Forschungsergebnisse aus, könne der Gesetzgeber allenfalls verfügen, „dass Spätabtreibungen nur in Ausnahmefällen zulässig sind, um entwickelten Föten Leid zu ersparen“, derartige Gründe lägen aber nicht vor, „wenn der Staat bewusstseins- und empfindungsunfähigen Embryonen und Blastozysten ‚ein eigenes Recht auf Leben‘ einräumt und dieses vermeintliche ‚Recht‘ gegen die Selbstbestimmungsrechte der Frauen ausspielt.“

»Schluss mit religiösen Vorschriften in öffentlichen Krankenhäusern!«
Petition gegen das »katholische Abtreibungsverbot«

»Kirche und Medizin vertragen sich nicht«, meint der Chefarzt der Frauenklinik in Lippstadt Prof. Dr. Joachim Volz. Parallel zu seiner Klage gegen den christlichen Krankenhausträger, der ihm untersagt hatte, medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, hat er eine Petition veröffentlicht, die dafür plädiert, dass in der Medizin die Patientinnen das »letzte Wort haben« sollten, »nicht eine Kirche, die sich über die Betroffenen hinwegsetzt.«

Volz versteht seine Petition als einen »Weckruf an die Politik und die Gesellschaft«, denn sein Fall ist »kein Einzelfall«. Wie er werden auch andere Gynäkologinnen und Gynäkologen durch Fusionen mit katholischen Krankenhausträgern in ihrer Arbeit behindert, wodurch die bereits bestehende Lücke in der Gesundheitsversorgung von Schwangeren noch größer wird, als sie es ohnehin schon ist. Dass Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinnen »selbst bei schweren Fehlbildungen des Fötus, bei Schwangerschaften nach Vergewaltigungen oder mit immensen gesundheitlichen Risiken im Stich lassen« müssen, ist für Volz »schlicht unterlassene Hilfeleistung«. Daher plädiert er für eine »ehrliche, ideologiefreie Debatte, die schon lange überfällig ist«.

Im Rahmen einer solchen Debatte müssten auch die geltenden Strafrechtsnormen (§§ 218ff.) reformiert werden, da sie an der Realität vorbeizielen. So sollte die künstliche Unterscheidung zwischen einer als »rechtmäßig« geltenden medizinischen Indikation und einer angeblich »rechtswidrigen«, wenn auch straffreien, selbstbestimmten Entscheidung der Frau aufgehoben werden. Denn in Wahrheit, so Volz, »liegt beiden Fällen das legitime Recht einer jeden Frau zugrunde, nach ärztlicher Beratung zu entscheiden, ob sie sich eine Fortführung ihrer Schwangerschaft in ihrem höchstpersönlichen Kontext zumuten kann.«

Deshalb fordert Volz nicht nur »Schluss mit religiösen Vorschriften in öffentlichen Krankenhäusern«, sondern auch »Schluss mit der Kriminalisierung von jeglicher Form des (selbstbestimmten) Schwangerschaftsabbruchs«. Sein Fazit: »Medizin braucht Herz und Verstand, keine Moralpredigt. Reproduktive Selbstbestimmung ist kein Verbrechen. Meine Hilfe ist keine Sünde, sondern ein Gebot der Menschlichkeit.« Die Petition von Joachim Volz kann ab sofort unter https://innn.it/keinmord unterzeichnet werden. Die Giordano-Bruno-Stiftung ruft ausdrücklich zur Unterstützung der Petition auf, da sie vieles in Bewegung bringen könnte: »Machen Sie mit und setzen Sie ein klares Zeichen gegen die religiöse Bevormundung von Ärzt*innen und Patientinnen!«

   

Joachim Volz wird in seinem Verfahren (wie zuvor die Gießener Ärztin Kristina Hänel, deren Fall zur Abschaffung des § 219a StGB führte) vom »Institut für Weltanschauungsrecht« (ifw) und der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) begleitet. Anwaltlich vertreten wird der Chefarzt der Lippstädter Frauenklinik von ifw-Beirat Till Müller-Heidelberg. Unterstützt wird das Verfahren u.a. von der Organisation »Pro Choice«, die eine Spendenkampagne für das Verfahren gestartet hat, sowie vom »Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung«. Wie die Giordano-Bruno-Stiftung in einer vorangegangenen Pressemitteilung dargelegt hat, könnte der »Fall Volz« viele vermeintliche »Selbstverständlichkeiten« infrage stellen, »nicht nur das kirchliche Arbeitsrecht, sondern auch die Rolle konfessioneller Träger in der Wohlfahrtspflege sowie die gesetzlichen Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch und zur Fortpflanzungsmedizin.« Die juristischen Hintergründe des Falls werden auf der Website des »Instituts für Weltanschauungsrecht« (ifw) erläutert.